Erfahrungsbericht – Freiwilligenarbeit in Israel

von Judith Liehr

Ein junges Land mit vielen Gesichtern und einer bewegten Geschichte – es ist sicherlich ein besonderes Erlebnis, dort in einem Freiwilligenprojekt mitzuarbeiten!

Diese Programmteilnehmerin hat, wegen der aktuellen Situation in Israel, eine Weile mit sich gerungen, ob sie ihr Programm, das für diesen Spätsommer geplant war, wirklich antreten soll – sie ist gefahren und hat es ganz offensichtlich nicht bereut. Hier ihr Erfahrungsbericht:

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Äußerst ungewiss war es für mich, ob ich meine Reise in einen südlichen Teil der Negev-Wüste und damit auch meinen Freiwilligeneinsatz würde antreten können. Denn Israel befand sich kurz vor meiner Abreise im September diesen Jahres noch im Krieg mit der palästinensischen Hamas und auch das Vorrücken der Terrormiliz IS bereitete mir zu diesem Zeitpunkt große Sorgen.

Mein gesamtes Umfeld riet mir daher von der Reise ab, aber ich musste einfach nach Israel. Ich musste; komme, was wolle. Ich musste wissen, wie es ist, im bis vor kurzem noch jüngsten Staat der internationalen Staatengemeinschaft zu leben. Ein Staat, der trotz seines jungen Alters von rund 65 Jahren Orte, Straßen und Gebäude beherbergt, die genauso alt sind wie die drei Weltreligionen selbst. Wie ist es, nach mehr als 2000 Jahren der weltweiten Verfolgung endlich eine Fläche auf der Weltkarte zu bevölkern, in der man in (relativem) Frieden seine Religion und Traditionen ausleben kann, in der man offen jüdisch sein kann? Wie ist er, dieser einzige Staat, in dem das Judentum die offizielle Staatsreligion ist? Wie und was ist Israel, dieser Ort, der allen jüdischen Menschen aus der Diaspora ein Zuhause gibt?

Und nachdem ich mich erst einmal für Israel entschieden hatte, musste ich nur noch das Projekt wählen, an dem ich teilnehmen wollte.

Ökobauprojekt. Ökobauprojekt? Ökobauprojekt! Alles klar! Das nehm ich!

Weil: Warum und für wen sollte man denn bitteschön Häuser in der Wüste bauen? Hingehen, anschauen, mitmachen!

Ich kann nur sagen: Diese Erfahrung war einmalig. Die israelische Wüste ist mit Sicherheit nicht von dieser Welt. Aber allein schon das Projekt, die Betreiber, die übrigen Freiwilligen und die Anlage an sich sind es wert, sich für einen Einsatz dort zu entscheiden.

Das Ökobauprojekt bietet dir als Frewillige/r die Möglichkeit, eine Art Hotel für alternativ gesinnte Touristen/ Touristinnen mitzugestalten. Das Projekt existiert nun schon seit gut zehn Jahren und ist daher noch nicht ganz fertig. Das Besondere an der ganzen Sache ist, dass das gesamte Material, aus dem alle Häuser und weiteren Bauten gebaut werden, ausschließlich aus Stoffen hergestellt wird, die dir die Wüste zur Verfügung stellt. Also, unter anderem viel Sand.

Hier sieht man, wie die Wände von den Hütten von den Freiwilligen gebaut werden!

Der typische Tagesablauf gestaltet sich wie folgt:

07:00 Uhr aufgestanden sein und gefrühstückt haben (dafür am besten abends nicht so lange machen und vielleicht auch nur ein Glas Arak trinken)

07 – 10:00 Uhr erste Schicht (das bedeutete in meinem Fall entweder Wände bauen, Material für jene anfertigen, Komposttoiletten entleeren, Gästehäuser auf Vordermann bringen, zukünftig gebrauchte Stellen auf dem Gelände von Müll befreien oder bereits fertige Häuser mit Öl bestreichen, macht sie nämlich optisch unheimlich schön)

10 – 15 Uhr ellenlange Mittagspause! (gute Gelegenheit um Gitarre zu spielen, gemeinsam zu kochen, in der Hängematte oder am Pool entspannen, einen Spaziergang in der Wüste machen, lesen oder einfach nur schlafen, weil die Arbeit hauptsächlich körperlicher Natur ist und man auch schon nach drei Stunden so manches Mal an seine Grenzen stößt)

15 – 18 Uhr zweite Schicht (die Arbeit gestaltet sich ähnlich wie in der ersten Schicht, aber meistens zieht man in der zweiten Schicht die Wände hoch, weil die Temperaturen gegen Abend so langsam sinken und man nicht mehr die sengende Sonne im Nacken scheinen hat)

18 Uhr bis ? Ende Gelände, nichts mehr mit Arbeit für heute! (zu Abend isst man eigentlich immer zusammen in der Gruppe, mit kochen und Geschirr spülen wird sich abgewechselt, sehr häufig sitzt man nach dem Essen noch in der Gemeinschaftsküche, spielt Karten, quatscht, lernt alle möglichen Sprachen, die gerade in der Gruppe vertreten sind oder zieht sich einfach in sein Zimmer zurück; alles ist unheimlich freiwillig und wenn jemand seinen Raum braucht, ist das immer absolut ok gewesen)

Freiwillige in der Negev Wüste in Israel bei der Arbeit

Typischer Tagesablauf ist eigentlich eine Beleidigung für den Verlauf der einzelnen Tage. Denn trotz des organisatorischen Rahmens, der die Tage ja irgendwie bestimmt hat, waren alle 24 Stunden individuell. Binnen drei Wochen hatte ich kein einziges Mal Langeweile. Ohne Witz, Esprit und Tralala. Ganz ehrlich.

An Freitagen und Samstagen (Schabat) hat man als Freiwilliger frei. Nutzt die Zeit auf jeden Fall um eure Umgebung zu entdecken! Ihr könnt in der Wüste zelten gehen (Hotspot ist ein vertrockneter Wasserfall ganz in der Nähe) oder andere Ortschaften besuchen. Wir waren an einem Wochenende beispielweise in Eilat. Schnorcheln gehen bietet sich dort an und auch ein Besuch in der Bar „Three Monkeys“ kann ich empfehlen. Von dort aus ist es auch nur noch ein Katzensprung nach Jordanien, für die ganz reiselustigen unter euch.

Abgesehen davon sollte man auf jeden Fall:

  • mindestens eine Nacht unterm Sternenhimmel verbringen
  • entweder um 05:45 Uhr oder 18:00 Uhr dem Sonnenauf beziehungsweise -untergang beiwohnen
  • eine Runde im hauseignen Golfcar drehen (aber bitte nur mit Genehmigung)
  • einmal am Strand schlafen und dem Wellenrauschen lauschen

In Israel findet jeder etwas Geeignetes für sich. Im Norden kann man Ski fahren gehen, wurde mir gesagt. Es gibt unzählige frei zugängliche Strände. Wassersport in allen möglichen Formen und historische oder religiöse Stätten ohne Ende. Man kann mit Delfinen schwimmen, Korallen beobachten, Kamele reiten, shoppen gehen, über Märkte schlendern und, und, und. Ich bezweifle ernsthaft, dass die hebräische Sprache ein Wort für Eintönigkeit oder Monotonie hat.

Ein schöner Blick auf die Korallenriffe in Eilat

Außerdem hatte ich den Eindruck, dass selbst Veranstaltungen, die vorwiegend von Einheimischen besucht werden, immer offen sind für Touristen. Wir wurden oftmals zu irgendwelchen Musik- und Theaterfestivals geladen und fühlten uns dort immer gut integriert.

Wenn es nach mir ginge, ich würde mich nie wieder in meinem Leben unter eine Dusche stellen. Nur damit der Sand der israelischen Wüste nicht aus meinen Poren verschwindet.

Ich würde mir nie wieder die Zähne putzen. Nur um den Geschmack der süßen Datteln, den Geschmack von Tahina und warmem Nana-Tee auf Ewigkeiten in meinem Mund zu konservieren. Nie wieder einen Atemzug tun oder ausatmen, damit meine Lungen für immer gefüllt sind mit der Luft und all den Gerüchen, die durch die steinernen Gassen Jerusalems wehen. Und nie, nie, nie wieder die Hände von meinen Ohren nehmen, damit die Melodie der hebräischen Sprache und der Singsang der Gebete bis an mein Lebensende meinen Kopf mit Musik füllen.

Der Mahane Yehuda Markt ist während eines Freiwilligeneinsatzes in Israel auf jeden Fall einen Besuch wert!

Das Wort, das dich am ehesten beschreibt, liebstes Israel, ist „unbeschreiblich“.

Selbst Jahrzehnte zwischen deinen Mauern, in deinen Häusern, zwischen deinen Menschen, unter deinen Bäumen, an deinen Küsten, in deinen Gewässern, auf deinen Gebirgen zu verbringen würden nicht ausreichen, um dich wirklich kennenzulernen. Du bist ein endloses Geheimnis. Für mich so unergründlich und unerklärlich.

Und gleichzeitig bist du wie eine warme Umarmung, weil du einfach jeden aufnimmst und jedem ein Zuhause gibst.

Ich glaube, dass aufgrund der Tatsache, dass Israelis aus aller Herren Länder kommen um sich dort ein Heim aufzubauen, Israel irgendwie gelernt hat, jedem das Gefühl zu geben, willkommen und angekommen zu sein. Das tut es quasi ja Tag für Tag. Mit jeder Ankunft eines jeden Individuums, das sich in Israel niederlässt. Israel scheint zu wissen, wie man Neuankömmlingen ein Gefühl von Ankunft und Akzeptanz gibt. Das Gefühl des Fremdseins wird einem nahezu augenblicklich genommen.

Das einzige, was ich diesem Land und seinen Leuten also wirklich vorwerfen kann, ist, dass es mir mit seiner unverständlichen Schönheit eine abgrundtiefe, ewige Sehnsucht eingepflanzt hat, die man einfach nicht besiegen kann. Dass ich dort immer und immer wieder werde hinreisen müssen, damit ich an diesen Gefühlen des Vermissens nicht zugrunde gehe.

Toda raba, Israel.

Wir sehen uns wieder, fest versprochen.

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Vielen herzlichen Dank für Ihren wirklich tollen Bericht! Wir hoffen mit Ihnen, dass dies nicht Ihre letzte Reise nach Israel war!

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